Trimedialität und Journalismus Auf der Suche nach der digitalen Zukunft
Beim Tag der Medienwissenschaft feierte die Trierer Medienwissenschaft mit spannenden Themen ihren 15. Geburtstag. Stefan Raues Vortrag über Trimedialität beim MDR punktete mit Praxisnähe, blieb beim Internet aber blass. Zentrale Frage der Podiumsdiskussion: Können Journalisten die digitale Zukunft überhaupt mitgestalten?
Ein Fach feiert Geburtstag
Nachdem es im vergangenen Jahr um die Frage ging, was Social Media denn eigentlich für die PR bedeutet, gab es diesmal ein Fest zu feiern. Die Trierer Medienwissenschaft wurde 15. Über den Werdegang des Faches hat unsere lokale Zeitung Volksfreund einen interessanten Beitrag geschrieben – kein Link durch die Irrungen und Unsicherheiten des drohenden Leistungsschutzrechts, ihr müsst also nach „volksfreund 15 jahre medienwissenschaft“ googeln. Ich möchte mich daher an dieser Stelle auf die inhaltlichen Aspekte konzentrieren, denn da gab es zwei interessante Beiträge zu hören:
- Festvortrag von Stefan Raue (Chefredakteur des MDR): „Trimedialität – Mode oder Perspektive mit Zukunft?“
- Podiumsdiskussion: „Aktuelle Anforderungen des Arbeitsmarktes an Medienwissenschaftler“
Stefan Raue: Trimedialität in der Praxis
„Medienumbrüche sind überindividuell“, erläuterte Stefan Raue, um dann den Einstieg in seinen Vortrag über seine persönliche Mediengeschichte zu machen – mit dem Leitmedium Radio (bis sich in den 70er/80er Jahren das Fernsehen durchsetzte) und der eigenen Schallplattensammlung, die durch Aufzeichnungen aus dem Radio ergänzt wurde. Über das Fernsehen spannte er dann den Bogen zum Internet, das er als technische Plattform bezeichnete, die eine Eigendynamik entwickelt habe.
Im weiteren Verlauf des Vortrags schien Raue sehr in der klassischen Mediennutzung verankert. Das Fernsehen sei, allen Unkenrufen zum Trotz, noch immer Leitmedium. Klar, wenn man sich die Zahlen ansieht, aber ganz und gar nicht klar, betrachtet man die individuelle Mediennutzung von Internet-Vielnutzern. Eine weitere These: Das Internet bedeute einen Qualitätsverlust nach klassischen Maßstäben der Medien, bringe aber eine eigene Handschrift und Ästhetik mit. Den ersten Teil dieses Arguments hat Raue im Laufe seines Vortrags erläutert: geringere Bild- und Tonqualität, Fülle des Angebots – den zweiten Teil ließ er jedoch weitgehend unklar. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen.
Trimedialität am Beispiel des MDR
Die öffentlich-rechtlichen Medien stehen vor der trimedialen Zukunft: Da die Nutzer Internet, Fernsehen und Radio gleichermaßen nutzen, „wollen wir uns nicht von der Nutzerrealität abkoppeln“, sondern die drei Medien in einem integrierten Prozess verschmelzen.
Dies war dann auch der beste Teil von Raues Vortrag: fundiert, praxisrelevant und detailliert. Raue erläuterte anschaulich die organisatorischen Strukturen des trimedialen Newsdesks des MDR – die Planungschefs verschiedener Sendungen und Abteilungen sitzen hier gemeinsam an einem Tisch, um die Themen optimal in allen drei Medien zu präsentieren. Neben den einzelnen Sendungen seien besonders die trimedialen Thementage zu nennen, an denen ein zentrales Thema in allen Medien behandelt wird.
Spannend auch die täglichen Folgen dieses trimedialen Vorgehens. Neben der obligatorischen Geldeinsparung – Synergien halt – „hat sich unser Betriebsklima verändert“. Es gäbe „gesteigerte Kommunikation und Zusammenarbeit“, gerade auch zwischen Abteilungen, die sonst wenig miteinander zu tun hatten. Schließlich sei trimediales Arbeiten contentorientiert: „Wir reden über Themen, nicht mehr über Formate, deren Grenzen sich auflösen.“ – Nachteil: die Angst davor, dass sich das eigene Format verwässere und das Profil der eigenen Sendung verloren gehe. An dieser Angst seien viele trimediale Projekte gescheitert. Deshalb habe der einzelne Reporter auch nicht die Aufgabe, als eierlegende Wollmilchsau alle Formate abzudecken – so etwas scheitere in der Praxis.
Nutzerrealität und Suchmaschinen
„Wir wollen uns nicht von der Nutzerrealität abkoppeln“ – dieser Satz ist mir als Fazit trimedialen Arbeitens im Gedächtnis geblieben. Auf den netzbasierten Teil dieser Nutzerrealität ist Stefan Raue jedoch wenig eingegangen. Wie läuft der Rückkanal vom Zuschauer in den trimedialen Newsdesk? Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Aspekte eines Themas über welches Medium abgedeckt werden? Wie greifen die einzelnen Medien ineinander, besonders bei den Thementagen? Gibt es Erkenntnisse aus der Nutzungsforschung zu diesen Tagen? Gibt es Ideen, den „second screen“ einzusetzen – viele Nutzer verwenden neben dem Fernsehen ein Tablet oder ein Smartphone, so dass darauf zusätzliche Angebote zur Sendung laufen könnten. Während Raues Vortrag bei der praktischen Bewertung und Umsetzung trimedialer Aspekte klar punkten konnte, blieb er in netzorientierten Aspekten leider blass.
Welche Herausforderungen stellen sich für die Zukunft der Medien? Stefan Raue stellt als Hauptfrage: „Wie reagieren wir auf die Fülle des Medienangebots?“ Über die Thementage wolle man „Schneisen schlagen“.
Wenig Hoffnung auf Orientierung hat Stefan Raue jedoch von Seiten der Suchmaschinen. „Ich möchte Ihnen als Denkanstoß mitgeben, ob wir dadurch nicht zu einer Zufallsauswahl von Themen zurückkehren“ – eine steile These, bedenkt man, dass Suchmaschinen, Empfehlungsalgorithmen und soziale Filter alles außer zufällig sind. Da wäre eine Erläuterung bitter nötig gewesen.
Podiumsdiskussion: Was brauchen Medienwissenschaftler am Arbeitsmarkt?
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es um Anforderungen des Arbeitsmarkts für Medienwissenschaftler. Rede und Antwort standen Ehemalige und Lehrkräfte des Fachs:
- Svenja Siegert (journalist)
- Joachim Blum (Redaktionsberater)
- Sebastian Spang (Burda)
- Gernot Jäger (Zattoo)
Einem Credo konnten sich alle auf der Bühne anschließen: Flexibilität und eine vielfältige Ausbildung sind die größten Pluspunkte für Medienwissenschaftler. „Der Trick ist, viel praktische Erfahrung mitzubringen“, erläuterte Gernot Jäger und führte aus: „Neben Praktika sollte man als freier Journalist arbeiten – ganz besonders im Regionalen. Denn auch wenn sich Praktika in der weiten Welt gut auf dem Lebenslauf machen – im Lokalen lernt man das Handwerk.“
Senja Siegert erklärte, dass sie von ihrer Layout-Erfahrung profitiert habe – beim journalist seien damals Layoutprogramme eingeführt worden, da habe es geholfen, InDesign von innen zu kennen.
Gernot Jäger riet davon ab, sich zu früh festzulegen, dass man ja für das Radio arbeiten wolle: „Medienwissenschaftler brauchen eine Themenvermittlungskompetenz – erst danach sollten sie an Medien denken.“ Für Sebastian Spang fehlt gerade diese Crossmedialität oft bei Berufsanfängern, insbesondere im Bereich Social Media. „Viele Bewerber twittern nicht – dabei ist das so einfach“, schlug Svenja Siegert in die gleiche Kerbe.
Können Journalisten die digitale Zukunft mitgestalten?
Eine interessante Erkenntnis, die im Lauf des Gesprächs aufkam: Obwohl alle Teilnehmer als Journalisten begonnen haben, ist nur Svenja Siegert in diesem Bereich geblieben. „Journalismus war für mich eine professionelle Rolle, keine Berufung“ (Jäger), „die Interessen im Lauf des Lebens ändern sich“ (Blum), „es gibt Anreize aus anderen Bereichen wie der PR – man muss für den Journalismus brennen“ (Siegert) – persönliche Gründe, könnte man meinen.
Tatsächlich jedoch zeigte sich, dass es vielleicht noch ein anderes Problem mit dem Journalismus geben könnte: die Unmöglichkeit, die digitale Zukunft mitzugestalten. „Für mich war die Frage: Will ich den technologischen Entscheidungen nicht ausgesetzt sein oder sie mitgestalten?“, erklärte Gernot Jäger, während Sebastian Spang erklärte, Mitgestalten mache Spaß. Auch Joachim Blum habe an den Veränderungen in der Mediennutzung mitwirken wollen.
Seit der Diskussion habe ich oft darüber nachgedacht: Können Journalisten die digitale Zukunft nicht mitgestalten, wenn sie journalistisch arbeiten? Das wäre ein hartes Urteil – immerhin sollte man meinen, dass gerade Journalisten angesichts ihrer berufsmäßigen Neugier, ihren publizistischen Einflussmöglichkeiten und ihrer Vollzeitbeschäftigung mit Themen geradezu prädestiniert dafür sein sollten.
Nun ist es ja nicht so, dass es keine Journalisten gäbe, die die Veränderungen durch die Digitalisierung für ihre Arbeit einsetzen. Nur: Die Menschen in Deutschland, die ich als Vorreiter in diesem Bereich betrachten würde, arbeiten nahezu ausschließlich frei – Ulrike Langer, Mario Sixtus, Richard Gutjahr… Sollten Redaktionen auch im Jahr 2012 noch nicht in der Lage sein, die neue Mediensituation in ihre Arbeit zu integrieren? Es wäre ein trauriges Urteil.
Aber vielleicht gibt es ja Hoffnung. Svenja Siegert: „In der Zukunft werden Medien nutzerorientiert denken – das ist banal, aber nicht selbstverständlich.“ Gernot Jäger denkt, Unternehmen werden lernen, ihren Zielgruppen zu folgen. Wir werden es sehen.