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Erklärungsversuch: für wen ist das Fernsehen tot?

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Schlagworte: FernsehenMedientheorie

Die Blogpiloten behandeln aktuell den Themenschwerpunkt „Das Fernsehen ist tot“. Im Laufe der letzten Tage haben mehrere Gastautoren ihre Gedanken zum Thema veröffentlicht, wie etwa Thomas Praus mit seinen vier Thesen zur Überlebenskunst des Fernsehens oder André Krüger mit seiner scharfsinnigen Analyse aktueller Entwicklungn beim Fernsehen.

Der Tenor dieser Beiträge ist zumeist, dass sich das Fernsehen verändert oder verändern muss. Und obwohl ich dieser Meinung als langjähriger Nicht-Fernseh-Besitzer zustimme, möchte ich mich mit diesem Beitrag einmal in die Köpfe der „anderen“ hereinversetzen: nämlich denjenigen, die ihren Computer nicht grundsätzlich eingeschaltet lassen und im Web unterwegs sind, sondern als reines Arbeitsgerät sehen. Wie tot ist das Fernsehen also für einen Fernsehzuschauer?

Was Fernsehen mit Entscheidungen zu tun hat

Eines der Hauptargumente gegen das Fernsehen ist das Programm selbst. Es sei langweilig oder veraltet oder würde die eigenen Interessen nicht abbilden. Argumente, die nicht für jeden zählen. Hier ein typisches Beispiel für ein Gespräch:

  • Fernsehgucker: „Keine Glotze? Was machst du denn dann abends, wenn du kein Fernsehen guckst?¡
  • Fernsehverweigerer: „Ich schaue mir das an, was ich will.“
  • Fernsehgucker: „Dann musst du dir ja jedesmal darüber Gedanken machen… Das ist aber stressig.“

Wieso kann man „Gedanken machen¡ als Argument gegen Fernsehverweigerung benutzen? Michael Jäckel hat in einer Vorlesung auf den Aspekt der Entscheidungen aufmerksam machte. Seine Idee: wenn es darum geht, ein Auto zu kaufen, reagieren alle Menschen ähnlich. Sie informieren sich über Wochen darüber, was es auf dem Markt gibt und suchen nach Alternativen. Fernsehen ist eine andere Angelegenheit: denn hier geht es nicht um ein Auto, an das man jahrelang gebunden ist. Sondern es geht einfach nur um einen Abend. Im schlimmsten Fall hat man also einen schlechten Film gesehen und ärgert sich ein bisschen - mehr aber auch nicht.

Zusammenfassend könnten wir also sagen, dass es verschiedene Entscheidungen gibt, die unterschiedlich schwere Konsequenzen nach sich ziehen. Nun ist Entscheidungen treffen aber immer unbequem, weil mit Arbeit verbunden. Wie kommt es also, dass manche Menschen ihre Fernsehentscheidung den Programmgestaltern überlassen, andere aber selbst Programmgestalter sein wollen?

Der persönliche Schwellenwert

Die Antwort scheint - der beispielhafte Dialog oben deutet es bereits an - in der Bewertung der Konsequenzen zu liegen. Während das Fernsehprogramm für den einen so unwichtig ist, dass Alternativen im Internet zu viel Arbeit sind, machen eben diese Entscheidungen dem anderen überhaupt nichts aus. Das persönliche Interesse an einem Thema scheint also gewissermaßen die Funktion eines "Schwellenwerts" zu übernehmen. Es bewirkt, dass das Risiko eines "schlechten Films" unterschiedlich bewertet wird.

Die Idee des Schwellenwerts kommt aus der Audiotechnik: man gibt damit an, ab welchem Lautstärkewert ein bestimmtes Gerät in den Klang eingreifen soll. In Bezug auf Entscheidungen scheint es auch so etwas wie einen "persönlichen Schwellenwert" zu geben: er entscheidet darüber, ab wann ein Mensch ein Thema für entscheidungswert hält. Alles, was unterhalb dieses persönlichen Werts liegt, wird einfach anderen überlassen. Die Arbeit, die eine Entscheidung mit sich bringt, steht in keiner Relation mehr zum persönlichen Nutzen.

Visualisierung des Schwellenwerts wie im Text beschrieben
Oben das Beispiel eines Web 2.0-Jüngers, unten ein „normaler“ Fernsehkonsument

Das Konzept des persönlichen Schwellenwerts könnte erklären, warum es für einige Menschen unglaublich wichtig ist, ihr eigenes Fernsehprogramm zu gestalten, für andere hingegen überhaupt nicht. Man darf den Schwellenwert jedoch nicht bewertend verstehen: er bezieht sich lediglich auf persönliche Interessen, die man als gegeben hinzunehmen hat. Selbstverständlich hat jeder Mediennutzer unterschiedliche Schwellenwerte für unterschiedliche Themen. Wer sich passiv berieseln lassen und entspannen möchte, hat in Bezug auf Fernsehen einfach einen hohen Schwellenwert und möchte nicht selbstständig über das Programm entscheiden.

Gibt es ein Fernsehen der Zukunft?

Obwohl es hilfreich sein kann, über Entscheidungen und den Schwellenwert nachzudenken, sagt uns das noch nichts über die Zukunft des Fernsehens. Dazu einige Fragen und Diskussionsanregungen:

  • Gibt es eine allgemeine Tendenz, die den Schwellenwert in Bezug auf das Fernsehverhalten herabsetzt? Mit anderen Worten: Gibt es zunehmend mehr Menschen, die ihr eigenes Programm machen wollen, oder sind solche Menschen Ausnahmen und werden es auch bleiben?
  • Gibt es Alternativen zu den etablierten Strukturen, gerade auch für Menschen, die sich nicht mit ihrem Programm beschäftigen wollen? Könnten sie auf Empfehlungen Bekannter (eine Art „Fernsehen 2.0“) oder Empfehlungen auf Basis von Statistiken und Berechnungen (eine Art „Fernsehen 3.0“) zurückgreifen, anstatt die Entscheidung anonymen Sendeanstalten zu überlassen?
  • So ganz entscheidungslos ist niemand: jeder Zuschauer wählt zwischen verschiedenen Programmen und scheint davon nicht überfordert zu sein. Sich sein Programm im Internet zusammenzuklicken, ist jedoch mehr Arbeit. Wie müssten Fernsehgeräte der Zukunft gestaltet sein, um auch diese Möglichkeiten so einfach wie gewohnt zu bieten?
  • Welche Rolle spielt die Möglichkeit, über Dienste wie hobnox selbst Programm zu machen? Ändert sich dadurch auch das reine Konsumverhalten?
  • Wie verhalten sich persönlicher Schwellenwert und individuelle Entscheidungen zueinander? Ein Beispiel: jemandem ist die Serie „24“ so wichtig, dass er sich aktuelle Folgen im Internet ansieht; für alles andere reicht ihm aber das normale Programm aus. Spricht ein solches Beispiel dagegen, dass es so etwas wie den persönlichen Schwellenwert überhaupt gibt?