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Gesprächsrunde mit Gesche Joost Wahlkampf im Neuland

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Tags: BreitbandausbauBundestagswahl 2013Edgar WagnerFranz KlugeGesche JoostJörg HalsteinKatarina BarleyMedienkompetenzNetzpolitikNSARheinland-PfalzSPDtotale ÜberwachungWahlkampf

Am vergangenen Montag war die Designforscherin Gesche Joost aus dem Kompetenzteam der SPD in Trier zu Gast und diskutierte über ihre netzpolitischen Ansätze. Der Titel machte viel her: „Schöne neue Welt Internet?! Chance – Überwachung – Wirtschaftsfaktor“ – das sind ja gleich drei Sachen auf einmal, und dementsprechend groß waren die Erwartungen. Was kann im Detail auf die Agenda?

Medienkompetenz, Breitbandausbau und totale Überwachung

Gesche Joost startete mit einem Impulsreferat, das den Bogen über ihr politisches Programm spannte. Den Anfang machten eine kurze Erzählung ihrer persönlichen Netz-Biografie: „Ich habe das Netz als Raum toller neuer Möglichkeiten kennen gelernt“, und die Ideen vom Netz als Bürgerforum seien vielfach wahr geworden. „Aber dann traf uns der NSA-Skandal wie ein Donnerschlag“, erläuterte Joost. Dies habe die Menschen verunsichert und viel Vertrauen zerstört.

Gesche Joost spricht mit Franz Kluge
Designforscherin Gesche Joost im Gespräch mit Franz Kluge von der Hochschule Trier

Die aus meiner Sicht wichtigsten Punkte ihres Vortrags:

  • Beim Themenkomplex der vernetzten Gesellschaft sieht sie zwei zentrale Faktoren. Zum einen sei dies die Medienkompetenz, die von der Grundschule an gelehrt werden solle, um „das Netz gestalten zu lernen“. Darunter falle auch, dass Schüler eine Programmiersprache lernen sollen.
  • Die zweite Grundlage sei der Breitbandausbau als technologische Voraussetzung für die Vernetzung. Dies werde nicht vom Markt geregelt – die SPD hat daher einen Breitbandfond ausgearbeitet.
  • Besonders hervorgehoben hat die Designforscherin die Grundsätze von „open everything“ – öffentliche Daten und Bildungsangebote sollten allgemein zugänglich sein, da dies große Chancen biete.
  • Trotz des Vertrauensverlusts im Zuge der totalen Überwachung empfindet Gesche Joost Verzicht auf das Netz nicht als Alternative. Vielmehr seien Maßnahmen auf drei Ebenen sinnvoll.
  • Auf nationaler Ebene liegt der Fokus auf der IT-Sicherheit. Man müsse Sicherheitsstandards schaffen, damit deutsche Unternehmen nicht ausspioniert werden können. Zudem könne man Datenschutz als Standortfaktor betrachtetn – „privacy by design“ könnte somit zu einem Verkaufsargument werden.
  • „Das Netz macht jedoch nicht an Ländegrenzen Halt“ – auf Ebene der EU gehe es demnach um ein europäisches Datenschutzabkommen, beispielsweise durch die Idee, dass für deutsche Nutzerinnen eines Dienstes auch deutsches Datenschutzrecht gelten solle – unabhängig davon, wo nun der Server des Anbieters physisch beheimatet ist. Auch müsse es ein Recht auf Löschen von Daten geben.
  • Auf internationaler Ebene schließlich möchte sich Joost für ein Völkerrecht des Netzes einsetzen. Bürgerrechte müssen auch im Netz gelten – „das wird sicher nicht einfach, muss jedoch angegangen werden“, wie Joost betonte.
SPD-Kandidatin Katarina Barley während der Einführung
SPD-Kandidatin Katarina Barley leitete das Gespräch

Die letzten gut 45 Minuten waren einer Podiumsdiskussion mit anschließender Fragerunde vorbehalten, moderiert von SPD-Kandidatin Katarina Barley. Die erste Frage ging an Gesche Joost: „Teilt sich die Gesellschaft in Onliner und Offliner?“ Die Wissenschaftlerin antwortete mit einem kurzen Querschnitt über ihre Forschungsarbeit. Tatsächlich sei der Wunsch, einmal von der permanenten Erreichbarkeit abschalten zu können, ein zentrales Thema für die Teilnehmerinnen einer Studie gewesen, und auch bei ihren Doktoranden beobachte sie eine selbstverordnete Informationsdiät während wichtiger Arbeitsphasen. „Letztendlich müssen wir in unserem Umgang mit Medien erwachsener werden“ – dies sei ein wichtiger Bestandteil von Medienkompetenz.

Ein GAU für den Datenschutz

Mit dem rheinland-pfälzischen Datenschutzbeauftragten Edgar Wagner war ein berufsbedingter Mahner auf dem Podium. Er betonte, dass nicht alles offen sein könne – bei aller Sympathie für größere Transparenz und Zugänglichkeit müsse es Grenzen geben. Das von Ministerpräsidentin Malu Dreyer angekündigte Transparenzgesetz begrüßte er explizit. Wagner sei außerdem Mitglied im Landesrat für digitale Entwicklung und Kultur, in dem Menschen mit verschiedenen Perspektiven Handlungsempfehlungen für das Land ausarbeiten sollen.

Der NSA-Skandal ist ein Verrat an der Freiheit des Internets und hat nichts mehr mit Rechtsstaat zu tun.
Edgar Wagner (Landesdatenschutz-Beauftragter)

Kein gutes Haar ließ er an den Geheimdienst-Aktivitäten. „Der NSA-Skandal ist ein Datenschutz-GAU“, weil er global, unabhängig von einem konkreten Verdacht und unter Einbeziehung großer Internet-Firmen und Provider geschehe. „Das ist ein Verrat an der Freiheit des Internets und hat nichts mehr mit Rechtsstaat zu tun“, erläuterte Wagner und führte aus, dass man die Reaktion nach den Terroranschlägen vom 11. September zwar verstehen könne – dies ändere aber nichts daran, dass man über sämtliche Grenzen hinweg gehe.

Jörg Halstein und Edgar Wagner im Gespräch mit Bürgern
Datenschutz-Mahner von Berufs wegen: Edgar Wagner rechts, links daneben der Unternehmer Jörg Halstein

Was man dagegen unternehmen könne? „Whistleblower sind die effektive Kontrolle der Geheimdienste, nicht die Datenschutz-Beauftragten.“ Es gäbe schwierige nationale Unterschiede, so dass man die Normen nicht einfach regeln könne. Als konkrete Idee nannte Edgar Wagner, dass das Informationstransparenzgesetz explizit auch für Geheimdienste gelten müsse – derzeit sind sie davon ausgenommen.

Die zunehmende Verschwimmung der Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem beurteilt der Landesdatenschutz-Beauftragte naturgemäß kritisch und stellt klar: „Wir brauchen Privatheit, und die Grenzen werden gesellschaftlich ausgehandelt.“ Letzten Endes gehe es beim Datenschutz um Selbstbestimmung – jeder soll selbst entscheiden können, welche persönlichen Informationen preisgegeben werden können. „Im Netz habe ich jedoch häufig keine Perspektive“, bedauerte Wagner.

Das Netz als unternehmerische Chance

hunderttausend-Geschäftsführer Jörg Halstein vertrat die Unternehmer-Seite auf dem Panel und verlagerte den Fokus der Diskussion auf die Sorgen der Unternehmen. „Zunächst einmal muss ich als Nutzer wissen, dass ich als Werbe-Zielgruppe getrackt werde“, erläuterte er das Geschäftskonzept der Online-Werbe-Industrie. Zugleich ermögliche das Netz aber neue Interaktionsmöglichkeiten mit den Nutzern, nur um das gleich wieder einzuschränken: „Wir nutzen diese Möglichkeiten sehr vorsichtig, denn es gibt oft keine klaren Regeln und eine große Rechtsunsicherheit.“ Als Beispiel nannte er die Bestrebungen des Datenschutz-Beauftragten von Schleswig-Holstein, Facebook-Fanpages zu reglementieren – da sei die Gefahr einer Klage stets vorhanden.

Der zweite Wissenschaftler in der Reihe, Franz Kluge (Dekan des Fachbereichs Gestaltung der Hochschule Trier), stellte klar: „Sich dem Netz zu entziehen ist absurd.“ Er verglich die Entwicklung mit der Umgestaltung von Paris durch Baron Haussmann, der als Reaktion veränderter Produktionsbedingungen das Gesicht der Stadt zu großen Teilen umkrempelte. Die Frage sei also, wie wir mit den neuen Entwicklungen umgehen, etwa mit der Frage, die Zukunft nicht vorhersehen zu können. Als weiteren Aspekt bezeichnete er das Netz als einen Kulturraum, der von Designern gestaltet wird – „unsere Gesellschaft ist zunehmend durch Ästhetisierung geprägt, auch wenn das jetzt ein wenig akademisch klingt“.

Medienkompetenz zwischen Schule, Ausbildung und Gesellschaft

Als eines der großen Schlagworte unserer Bildungsdiskussion ging es in der kleinen Diskussionsrunde besonders um die Medienkompetenz. Für Jörg Halstein müssen insbesondere die politischen Entscheidungsträger in Medienkompetenz geschult werden: „Entwicklungen wie das Leistungsschutzrecht oder die geplante, aber nie umgesetzte Aufnahme von Websites in die Deutsche Nationalbibliothek geben kein gutes Bild ab.“ Gesche Joost pflichtete ihm bei, nicht ohne einige Spitzen gegen den politischen Gegner zu setzen. „Die Politik stolpert oft hinter den Entwicklungen her“ – Schüler seien da oft schon weiter, empfänden E-Mails bereits als veraltet.

In der Medienkompetenz gibt es ein riesiges Defizit, insbesondere in den Hochschulen.
Franz Kluge (Hochschule Trier)

Einen umfassenderen, aber auch abstrakteren Fokus legte Professor Kluge: In der Schule werde Medienkompetenz oft als eine Art „Internet-Führerschein“ betrachtet – dabei gehe es nicht nur um die Kompetenz, Medien zu nutzen, sondern auch zu gestalten. „Gerade darin sehe ich ein riesiges Defizit, insbesondere in den Hochschulen – unsere Innovationen sind noch immer von Ingenieuren geprägt, nicht von den Nutzern.“

Wahlkampf zwischen Zustimmung und Kritik

„Wie setzen wir das alles nun konkret um? Immerhin ist Wahlkampf!“, meldete sich ein Mann aus dem Publikum zu Wort und gab Gesche Joost damit die Möglichkeit, noch einmal ein paar Ideen zu konkretisieren. Soll es ein Internet-Ministerium mit der SPD geben? Check. Soll freies WLAN gefördert und die Störerhaftung reformiert werden? Check. Und eine Deckelung für Abmahnungen? Check. Gleichzeitig müsse jedoch das Phänomen illegaler Downloads bekämpft werden – wie das konkret aussehen kann, blieb im Unklaren.

Schild mit der Aufschrift „Internet“ neben anderen Orten
Freies Internet über Wifi demnächst überall?

In den letzten Minuten der Diskussionsrunde kam es dann auch zu kleinen kritischen Spitzen auf dem Podium. Jörg Halstein merkte an, der SPD-Ansatz eines Breitbandfonds sei ihm zu wenig: „Wir werden abgehängt, in den ländlichen Regionen ist Diaspora, noch dazu gibt es Drosselungen von LTE-Verbindungen sowie die Drosselungspläne der Telekom – das ist eine Katastrophe!“ Gesche Joost verteidigte das Breitband-Programm der SPD – der Plan sei komplett durchkalkuliert und könne Ausbau ohne Verschuldung sicherstellen. Zudem müsse die Netzneutralität gesetzlich gesichert werden, und auf die Pläne der Telekom habe man ein wachsames Auge.

Viele Anknüpfungspunkte – und doch einige Fragen

Mich persönlich hat Gesche Joost durchaus überzeugt – in dem, was sie gesagt hat. Doch denke ich auch an das, was nicht gesagt wurde, und dabei ist viel unklar geblieben. Bei aller Kritik an der totalen Überwachung steht die Vorratsdatenspeicherung noch immer auf der Agenda der SPD. So bleibt bei mir ein diffuses Bild zurück, was von der SPD in Sachen digitaler Politik zu halten ist – ihre Dialogbereitschaft und das Engagement, das Thema in die Region zu tragen, verdient jedoch Anerkennung. Für euch gilt wie immer: Bildet euch eure eigene Meinung, zum Beispiel mit dem Wahlprogramm oder einem der zahlreichen Wahlhelferlein aus meinen letzten Lesetipps. Und bitte: Geht wählen, gerade weil es Grund zur Sorge um die Demokratie gibt.