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Fototage Trier: Entdeckungen, Inspirationen und Ortswechsel

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Tags: Fototage Trier

Magisterarbeitsbedingt war es in den letzten Monaten etwas ruhig in meinem Blog. Nachdem das Teil nun jedoch geruhsam auf den Schreibtischen meiner Prüfer weilt, habe ich endlich wieder Zeit, mich anderen Dingen zu widmen. Guter Startpunkt dafür: Seit Freitagabend finden in Trier die ersten Fototage statt, organisiert vom Kulturverein Bild und Kunst, konzipiert von Christoph Tannert. Bis zum 12. Dezember werden an vier Ausstellungsorten (Stadtmuseum Simeonstift, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum, Viehmarktthermen und Frankenturm) Werke verschiedener Künstler präsentiert, als Ausstellungskatalog dient eine Sonderausgabe der geschätzten Zeitschrift dienacht. Heute war ich auf Tour und habe mir alle Ausstellungen angeschaut. Es ist eine vielseitige Ausstellung geworden, die unter dem Motto „LEBEN elementar“ ein großes Spektrum der Fotografie abdeckt – dabei jedoch in meinen Augen an der Zersplitterung in vier Orte leidet.

Eindrücke der Ausstellungen: Fotografische Vielfalt

Es fällt mir schwer, die Vielzahl von Eindrücke und Inspirationen zu sammeln, die mir der Besuch der Ausstellungen gebracht hat. Und doch sind mir einige Arbeiten besonders im Kopf geblieben. Dazu zählen die vielen dokumentarischen Werke, die durch den unaufdringlichen Blick der Kamera auf Aspekte des Lebens hinweisen, die sonst gerne vergessen werden. Etwa im Fall von Bárbara Wagner (Viehmarktthermen) mit ihrer Serie „Brasília Teimosa“. Wie sie das bunte Leben am Badestrand der brasilianischen Hafenstadt Recife ablichtet, das lässt mich an die Aufnahmen von Martin Parr denken. Es ist eine süße Ironie, die aus den Bildern spricht, die davon erzählen, wie Verhaltensweisen von Mittelklasse-Badegästen von der sozial schwachen Bevölkerung aus den Favelas aufgegriffen werden. Beeindruckt hat mich auch die Serie „A Life“ von Knut Wolfgang Maron (Stadtmuseum Simeonstift). Der Künstler begleitete und fotografierte seine kranke Mutter. Entstanden sind dabei tieftraurige Bilder, aus denen Mitgefühl spricht – zugleich jedoch schafft er eine große Würde, wenn er verschiedene Gegenstände aus ihrem Haushalb ablichtet, die sonst keine Beachtung finden würden.

Thematisch aufgegriffen werden auch die unterschiedlichen fotografischen Technologien und Ästhetiken. Da sind die Camera-Obscura-Aufnahmen von Luzia Simons (Stadtmuseum Simeonstift). In düsteren, körnigen Aufnahmen schält sich darin das Motiv aus der Dunkelheit, als würde man durch ein Schlüsselloch einen Blick auf etwas erhaschen, das oft genug nicht eindeutig zu erkennen ist. Oder die Schwarz-Weiß-Arbeiten von Vadim Gushchin (Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum), in denen er alltägliche Gegenstände – ein Stück Brot, ein Paar Schuhe, ein verschnürtes Päckchen – ablichtet und durch starke Kontraste den Blick auf deren Oberflächenstruktur lenkt – so als würde man sie zum ersten Mal entdecken. Lehrsam auch zwei Aufnahmen von Rossella Biscotti und Kevin Van Braak (Stadtmuseum Simeonstift), in denen sie eine Treppe farbig und schwarz-weiß präsentieren und somit dem Zuschauer vor Augen führen, wie stark diese Elemente die Wahrnehmung verändern können.

Im Kopf geblieben sind mir zudem die digitalen Arbeiten, etwa von Edith Maybin (Stadtmuseum Simeonstift). In der ausgestellten Serie „The Tenby Document“ fotografiert sich die Künstlerin gemeinsam mit ihrer fünfjährigen Tochter und lässt ihre Körper digital miteinander verschmelzen. Es sind rätselhafte, verstörende Bilder, die daraus entstehen. Oder die Chimären von Eva Lauterlein (Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum): leere Portraits junger Menschen, entstanden aus der Kombination verschiedener Aufnahmen. Die steife Haltung, der abwesende Blick, der am Zuschauer vorbeigeht (aber wohin?) – und dann diese schwer fassbaren, beunruhigenden Gesichter: Was stimmt an ihnen nicht? Die Proportionen? Die Unförmigkeit? Die Leere? Auf diese Weise bekommen digitale Bildbearbeitungstechniken, die so oft der Verschönerung von Motiven oder der technischen Aufbereitung von Daten dienen, eine neue, künstlerische Funktion: Sie stellen sich gegen Sehgewohnheiten und hinterfragen gesellschaftliche Aspekte, die wir für sicher halten.

Das Hinterfragen von dem, was man alltäglich sieht – damit beschäftigt sich auch Petra Warrass (Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum) in ihren Aufnahmen von stolpernden und taumelnden Frauen in der Serie „Da sitz ich so, ganz harmlos“. Was zunächst als belustigende, peinliche Körperhaltung wirkt, erhält eine neue Dimension, wenn man sich vor Augen führt, in welchen Posen Frauen sonst so gerne abgebildet werden. Spannend auch: ihre Gesichter, auf denen sonst so viel Aufmerksamkeit liegt, sind niemals zu sehen. Thomas Florschuetz (Stadtmuseum Simeonstift und Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum) steuerte Triptychen zur Ausstellung bei, in denen er drei Ausschnitte seines Körpers zusammensetzte – und dabei ungewohnte, aber nicht zufällige Kombinationen schuf.

Zersplitterung der Werke über vier Ausstellungsorte

Ja, es ist eine fantastische Ausstellung geworden, die die unglaubliche Spannbreite der Fotografie abbildet – den Organisatoren gilt mein (auch ganz persönlicher) Dank, mir sehenswerte Werke nähergebracht und mich zugleich zur weiteren Beschäftigung mit Fotografie inspiriert zu haben. Dennoch, einen Kritikpunkt möchte ich zur Diskussion stellen, der mir im Verlauf des Nachmittags immer stärker bewusst geworden ist: Die Ausstellung leidet an ihrer Zerklüftetheit. Über vier Stationen sind die Werke verteilt. Das bringt in meinen Augen zwei entscheidende Schwächen mit sich, die ich heute am eigenen Leib erleben konnte.

Zunächst ist da die Sache mit den mehrfachen Tickets. Ein Kombiticket, so wird mir an einer der Eintrittskassen erklärt, gäbe es nicht – obwohl häufig danach gefragt würde. Wer also die gesamte Ausstellung sehen möchte, muss dreimal Eintritt bezahlen – die Videoinstallation im Frankenturm ist kostenfrei. Doch soll dies nun nicht etwa bedeuten, dass die Ausstellung dadurch zu teuer sei: Die Eintrittskosten für die Museen empfinde ich als moderat, auch die kombinierten Kosten sind unterhalb meiner Schmerzgrenze, die ich für Fotografie-Ausstellungen zu zahlen bereit bin. Ich liebe Fotografie-Ausstellungen und nehme dafür auch wesentlich höhere Kosten in Kauf als für die Fototage Trier.

Nein, das eigentliche Problem liegt im Frust-Faktor: Durch die Aufteilung auf drei Orte wirkt die Ausstellung wesentlich dünner, als sie es ist. Als ich mich mit den Leuten vor Ort unterhalte, habe ich oft das Gefühl, dass die Besucher die Werke als zu wenig empfinden – obwohl es sich um eine Ausstellung handelt, die in ihrem Umfang in Trier bisher wenig Vergleichbares gesehen hat. Wer die Enttäuschung darüber nach dem Besuch des ersten Museums – ganz gleich, mit welchem man nun angefangen hat – nicht gut wegstecken kann, wird nicht unbedingt auf die Suche nach dem zweiten Ausstellungsort gehen.

Doch ist dies nicht der schwerste Kritikpunkt: Ich kann mir durchaus vorstellen, noch einmal in eine der Ausstellungen zu gehen, um bisher unentdeckte Aspekte an den Werken zu erkennen. Tatsächlich glaube ich jedoch, dass es der Ausstellung auch inhaltlich gut tun würde, an einem Ort konzentriert zu sein. Durch die räumliche Trennung gehen Wechselwirkungen verloren. Wie gerne hätte ich mich im Wechsel vor die digitalen Arbeiten von Maybin und Lauterlein gestellt, um deren unterschiedliche Wirkung auf mich zu ergründen. Ich konnte es nicht, da die Werke voneinander getrennt waren. Dabei hätten sie es verdient, miteinander in Beziehung gesetzt zu werden, um die verschiedenen Herangehensweisen der Fotografen stärker herauszuarbeiten. Dies ist mir heute durch die Aufsplittung verwehrt geblieben – es bleibt eine Arbeit, die ich in den nächsten Tagen mit Hilfe des Ausstellungskatalogs nachholen werde.

Update 19. November 2010: Wie es aussieht, haben die Macher nun doch noch ein Kombiticket eingeführt.