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Am Strand der eigenen Fantasie

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Tags: Danger BeachDream DamagerIndieMilky WayMp3Ned WenlockStella Rae ZelnikSurfpopvisuelle Analyse

Neulich in meine Musikbibliothek eingefügt und nun für euch als Empfehlung: Danger Beachs EP „Milky Way“, die es beim Label zum kostenlosen Download gibt – ein Werk, bei dem musikalische und visuelle Aspekte Hand in Hand gehen.

Ein Paar Chucks im Sand
Danger Beach bringen den Indie an den Strand

License: mf395 by jeltovski, Lizenz von Morguefile

Indie-Surfpop mit einem Augenzwinkern

Es ist eine Art schräger Indie-Surfpop, der aus den Lautsprechern schallt, legt man „Milky Way“ in die Playlist. „Milky Way“ heißt dann auch das schräge Intro, das an einen außerirdischen Besucher erinnert, dem alles seltsam vorkommt auf dem fremden Planeten. Das mantraartige „Safe Home“ wiederholt so lange die Zeile „I got a safe home“ zu einer LoFi-Gitarre, bis man dem Song nicht mehr glauben kann. „Lakes“ ist ein schöner, verträumter Song mit übersteuerten Gitarren und Chorgesängen, der nach der Hälfte Tempo und Stilistik ändert, als könne er sich nicht entscheiden, in welche Richtung er gehen möchte. „Terrible Shame“ zeigt verhuschten Shoegazing-Gesang, „Liberty“ ist ein beschwingtes Zwischenspiel mit amateurhaft klingenden Rhythmen. Bester Song der digitalen Scheibe ist freilich „Apache“, ein Parforceritt von Indianern im Digitalzeitalter, mit coolen Gitarren wie ein kurzes Schredder-Punk-Zitat, der in einen finalen Galopp mündet.

Danger Beachs Album ist wie ein SciFi-Western – es sitzt zwischen mehreren Stühlen, und ein wenig bleibt der Eindruck, dass die verschiedenen Elemente nicht so richtig zusammenpassen. Mit den Harmonien klingen sie wie eine moderne, der LoFi-Garagen-Ästhetik verpflichtete Version der Beach Boys (hört euch nur „Goodbye Baby“ an), doch der Strand ist nicht mehr der Ort von Freiheit und Vergnügen, sondern eine Projektionsfläche für die Fantasien der eigenen Kindheit. Und „Projektionsfläche“ ist auch das Wort, das die Covergestaltung in meinen Augen am ehesten beschreibt.

Das Bild im Bild als Projektionsfläche

Das Cover, gestaltet von Stella Rae Zelnik, zeigt einen doppelten Strand, ein Foto im Foto – visualisierte Selbstreferentialität. Das Bild im Bild ist ein in der Fotografie häufig angewandtes Stilmitteln, das doch immer anders eingesetzt wird. Etwa in Form der ineinander verschachtelten Spiegelbilder bei „A Story About a Story“ (hier bei Kodak Professional als Bild Nr. 5 zu sehen) von Duane Michals, der das Spiel mit Realitäten zu seinem Markenzeichen erhoben hat. David Semeniuk hingegen montiert in seiner Serie „Landscape Permutations“ (iGNANT-Blog) Bilder von typischen amerikanischen Vorstädten vor typisch amerikanische Vorstädte – die Ähnlichkeit ist so frappierend, dass ich als Betrachter häufig überlegen muss, ob es sich nicht doch in Wahrheit um den gleichen Ort handelt, nur aus einer etwas anderen Perspektive aufgenommen. Noch ein letztes Beispiel: Ben Heine verwendet das Bild im Bild, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Mediengattungen herauszuarbeiten: Er hält Zeichnungen seiner Umgebung vor die entsprechende Umgebung und spielt dabei mit den Übergängen – auch hier gibt's Bilder bei iGNANT.

Verglichen mit diesen Künstlern ist Zelniks Arbeit doch anders: Das Bild zeigt nicht nur exakt den Strand, vor den es gehalten wird, es ist vielmehr sogar die identische Aufnahme, digital mittels Photoshop ineinandergeschoben – dafür sprechen die identischen Posen der Menschen sowie das Fehlen einer Hand, die die Aufnahme hält. Hier ist, wie ich das Cover lese: Es wirkt wie eine alte, gelbstichige Aufnahme eines Strands (ähnlich dem Surfpop, dessen Blütezeit schon etwas zurückliegt), und doch gibt es ein Spiel mit den Realitäten, das sehr modern wirkt:

  • ein Subjekt im Vordergrund fehlt,
  • die hineinmontierte Aufnahme überdeckt sämtliche Szenen, die sich im Mittelgrund abspielen,
  • Elemente, die in der kleinen Aufnahme klar zu erkennen sind (etwa die Treppe und das Gebäude rechts), werden in der großen Aufnahme weggeschnitten.

Hinzu kommt der eigenartige Umstand, dass der Strand im Vordergrund, in der Nähe der Kameraposition, komplett leer ist, während er im Hintergrund geradezu überfüllt erscheint. Es ist dieses „Komm näher ans Meer“, das ich aus dem Cover herauslese, zusätzlich verstärkt durch den leinwandartigen Charakter der montierten Aufnahme – so wirkt der Strand wie eine leere Fläche, die der Betrachter beim Hören der Musik mit eigenen Fantasien füllen muss – „Projektionsfläche“ eben.

Sehr schön übrigens auch das Video zu „Apache“ über einen Indianer, der in die moderne Welt gerät, entworfen von Ned Wenlock – die Hintergründe zur Idee erklärt er selbst in einem Motiongrapher-Interview.