Joachim Blum spricht von seinen Erfahrungen als Medienberater Medienwandel als Herausforderung für Redaktionen und Medienwissenschaft
Der Medienwandel stellt uns alle vor große Herausforderungen, ob es sich um Redaktionen oder das Fach Medienwissenschaft allgemein handelt. Der Tag der Medienwissenschaft 2013 widmete sich daher ausgiebig diesem Thema. Joachim Blum berichtete aus der Praxis eines Medienberaters, und die Absolventen Viktoria Hendgen, Sebastian Erlhofer und Nils Lengelsen sprachen darüber, was der Arbeitsmarkt von Absolventen der Medienwissenschaft erwartet.
Joachim Blum: Neun Beobachtungen aus dem Alltag eines Redaktionsberaters
Joachim Blums Talk trug den treffenden Titel „Aus der Praxis eines Medienberaters“, und entsprechend den Schwerpunkten seiner Berater-Tätigkeit konzentrierte er sich auf die besonderen Herausforderungen von Zeitungen. Die sinkenden Leserzahlen stellen Verlage vor große Aufgaben: Immer mehr Publikationskanäle führen zu einer wachsenden Komplexität, mit der Joachim Blum in seiner Arbeit täglich konfrontiert wird. Seine Erkenntnisse fasste er in neun Punkten zusammen:
- Notwendigkeit von strukturiertem Planen: Verlage definieren Projekte, mitsamt Situationsanalyse, Zielen, Milestones, Kosten, Risiken und Chancen – um das alles unter einen Hut zu bringen, benötigt man ein fundiertes Projektmanagement.
- Festhalten an tradierten Arbeitsabläufen: Der erste Schritt sei es, die Arbeitsabläufe in allen Ressorts festzuhalten und zu analysieren – ein Vorgehen, das für Zeitungen sehr ungewöhnlich sei. Sehr häufig treffe er auf einen produktionsorientierten Zeitablauf, der auf einen Redaktionsschluss ausgerichtet sei. Moderne Arbeitsabläufe seien hingegen prozessorientiert, ohne auf einen definierten Redaktionsschluss zu setzen.
- Angst vor integrierten Organisationsformen überwinden: Ein ständiger Austausch aller Beteiligten ist notwendig, aber Redaktionen begegnen dieser Idee noch immer mit Scheu, die man überwinden müsse. Er berichtete von einem neuen Newsroom des Daily Telegraph, der sehr angenehm sei, aber als negativ empfunden werde.
- Übernahme von Modellen, ohne darüber nachzudenken: Manchmal verfallen Redaktionen jedoch auch in einen Aktionismus. Modelle, die bei anderen Unternehmen erfolgreich waren, werden dann unreflektiert übernommen.
- Führung von Mitarbeitern: Es sei zudem notwendig, in den Aufbau von Führungskompetenzen zu investieren – unverzichtbare Eigenschaften, über die Chefredakteure neben den journalistischen Fähigkeiten verfügen sollten.
- Nachholbedarf in der Personalentwicklung: Um den steigenden Anforderungen gewachsen zu sein, müssen Redaktionen früh und immer wieder in die Fortbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investieren. Joachim Blum hob hier den Trierischen Volksfreund als positives Beispiel hervor, der schon früh auf die Qualifizierung von Mitarbeitern gesetzt habe.
- Methoden und Organisation der Veränderungsprozesse: Joachim Blum hat beobachtet, dass Transformationsprozesse in Redaktionen oft an Problemen in der internen Kommunikation kranken.
- zu geringer Stellenwert von Marktforschung: Obwohl Markt- und Rezeptionsforschung wertvolle Antworten darauf liefern können, welche Bedürfnisse und Lösungsansätze existieren, spielen sie in Verlagen eine zu geringe Rolle.
- gute Infrastruktur für moderne Kommunikation aufbauen: Während moderne Redaktionen, beispielsweise im Springer-Verlag, Entwickler ins Redaktionsteam integrieren, setzen manche Redaktionen noch immer auf veraltete Content-Management-Systeme (CMS) und Informationstechnologien (IT). Aber nur eine enge Zusammenarbeit unterschiedlich qualifizierter Menschen kann eine Antwort auf die zunehmende Konvergenz in den vernetzten Medien sein.
Trotz dieser Defizite zog Joachim Blum kein allzu negatives Fazit. Redaktionen seien aufgeschlossen, die Tageszeitung seien also durchaus zu retten. Gerade Publikationen mit Monopolstellungen, die eine kleinere Gruppe von Lesern bedienen, werden lange überleben.
Und natürlich kam die Diskussion auch auf eines der wichtigsten Themen im Verlagswesen zu sprechen: „Hat Bezahl-Content eine Chance im Netz?“ Zu dieser Frage hatte Joachim Blum eine Reihe interessanter Beobachtungen zu machen. Seiner Ansicht nach kann Bezahl-Content durchaus funktionieren, aber nicht für durchschnittliche Medien. Er führte die New York Times als erfolgreiches Beispiel an und verwies auch auf die Paid-Content-Experimente von Springer, bei denen man noch keine Rückschlüsse treffen könne. Der Trend sei aber klar: Man wolle nicht mehr alles verschenken, sondern bewege sich hin zu einem Marken-Abonnement, bei dem Leser für einen Preis Zugang zu allen Inhalten bekommen. Bei Fachverlagen wie z.B. dem Test-Verlag funktioniere dies bereits heute gut.
Diskussion: „Aktuelle Anforderungen des Arbeitsmarkt an Absolventen der Medienwissenschaft“
Mit Sebastian Erlhofer (mindshape), Viktoria Hendgen (WeinReich) und Nils Lengelsen (Phaydon Research) standen wie in den Jahren zuvor drei Absolventen zur Gesprächsrunde auf der Bühne bereit, moderiert von Michael Harnischmacher.
Tätigkeitsprofile von Absolventen der Medienwissenschaft
Der erste Frageblock drehte sich darum, was man mit diesem eigenartigen Medienwissenschaft-Studium eigentlich so anfängt. Was sind typische Tätigkeiten aus dem Alltag der Absolventen? Die Antworten spiegelten einmal mehr die enorme Vielfalt wider, die so ein Studium im Bereich „irgendwas mit Medien“ bietet:
- Viktoria Hendgen meinte, „den einen typischen Alltag“ gebe es nicht. Ihre Aufgaben umfassten das gesamte Spektrum des Marketings – ob Print oder Online, und ganz besonders Social Media. Außerdem Netzwerke für touristische Akteure, Pressearbeit, Messen…
- Nils Lengelsen erläuterte, sein Alltag in der Nutzungsforschung sei mit der Uni vergleichbar. Er analysiere die Nutzung von Websites, Apps und Geräten im Auftrag der Hersteller bzw. Anbieter. Im Idealfall entstehen dabei konkrete Handlungsempfehlungen, allerdings sei – anders als im Studium – die Nutzer-Meinung nicht immer das einzige Kriterium, beispielsweise im Falle von Werbung auf Websites, die bei Nutzern eher auf Ablehnung stoße.
Auch beim Berufseinstieg spielt das Netzwerken eine große Rolle, wie Nils Lengelsen berichten konnte. Ihn habe damals eine Bekannte ermutigt, sich zu bewerben, und somit die Tür geöffnet. Und wie kommt man von Medien zum Wein, so wie es Viktoria Hendgen gelungen ist? „Ich bin durch meine Liebe zum Wein dazu gekommen, wo ich heute bin, und habe zuerst ein Praktikum absolviert“, erzählt sie von ihren ersten Schritten in der Branche.
Einen anderen Weg hat Sebastian Erlhofer gewählt, der als selbstständiger Unternehmer die Agentur mindshape leitet. Er habe 2000 zunächst mit einem Studium der Informatik angefangen und dabei auch den zweiten Geschäftsführer von mindshape kennengelernt. 2002 habe er dann zur Medienwissenschaft gewechselt, aber parallel zum Studium weiterhin selbstständig gearbeitet. „Ich bin mit Google aufgewachsen“, erzählt er, und dies habe ihn schließlich auch dazu geführt, mit „Suchmaschinen-Optimierung: Das umfassende Handbuch“ einen der Klassiker zu diesem Thema im deutschsprachigen Raum zu schreiben.
Im Agentur-Alltag gehe es vor allem darum, Umsätze von kleinen und mittelständischen Unternehmen durch Maßnahmen wie Online-Marketing oder Suchmaschinenoptimierung zu erhöhen. Beim Finden der geeigneten Keywords lässt man sich von Empirie und Statistik leiten. Um einen entscheidenden Wissensvorsprung zu halten, investiere sein Unternehmen einen großen Teil seiner Zeit in A/B-Tests, um unterschiedliche Maßnahmen in multivariaten Tests zu erproben.
Welche Aspekte des Studiums stellten sich als sinnvoll heraus, und welche fehlten?
Wer gerade im Hörsaal oder im Seminar sitzt, kann sich manchmal nicht so recht vorstellen, was einem das Ganze für das Berufsleben bringen soll. „Bei mir waren die vielen praktischen Erfahrungen sehr wichtig, besonders beim Eyetracking“, erläuterte Nils Lengelsen. „Das war eine enorme Basis. Viele der Inhalte selbst sind heute nicht mehr so relevant, aber die Werkzeuge helfen sehr – zum Beispiel der Umgang mit qualitativen Daten. Das meiste zeigt sich dann während des Arbeitsalltags.“
Viktoria Hendgen verwies besonders auf die Breite des Studiums, während sie große Teile ihres fachlichen Wissens in einem Crash-Kurs parallel zum Abschluss erlangt habe. Außerdem habe es ihr geholfen, Referate vorzubereiten und zu halten.
Die Referatskultur hob auch Sebastian Erlhofer hervor, denn oft müsse man im Alltag Rede und Antwort stehen. Und Medienlogiken aus der historischen Betrachtung von Medien gebe es auch im Internet, so dass man vieles übertragen könne. „Es geht aber auch um Eigeninitiative“, sagte der mindshape-Geschäftsführer, zum Beispiel im Bereich des Projektmanagements. Es sei wichtig, eine Spezialisierung zu entwickeln und vieles auszuprobieren, aber auch Tools wie Office kennenzulernen. Damit sei man mit einem Studium der Medienwissenschaft gut aufgestellt für einen Job.
Welche Rolle spielt der Medienwandel in der täglichen Arbeit?
„Es folgt eine arg akademische Frage…“, kündigte Michael Harnischmacher eines der Themen an, mit dem man sich in der medialen Forschung und Lehre am meisten beschäftigt: der Medienwandel durch die Digitalisierung. Auf dem Panel waren sich alle einig, dass dieser Wandel längst stattgefunden hat. Es sei mehr eine Art Evolution und Revolution in einem – jeder Tag bringe etwas Neues. „Im Alltag geht es weniger um das Reflektieren des medialen Wandels, sondern ums Machen“, brachte es Viktoria Hendgen auf den Punkt. „Und natürlich ums ständige Anpassen.“