Social Media in der Politik Facebook als Mittel für bessere Stadtplanung?
Die SPD-Fraktion im Trierer Stadttag lud gestern Abend zu einer Podiumsdiskussion zum Thema „Facebook in der Stadtplanung“ in die ehrwürdigen Barockhallen des Kurfürstlichen Palais. Klar, dass ich da sein musste. Zu hören gab es viele spannende Aspekte des Themas – doch bei liquid democracy verschenkte man eine Chance.
„Facebook in der Stadtplanung“ hatte vor einigen Monaten eine gewisse Brisanz, denn Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion waren die Ereignisse rund um die Aral-Tankstelle in der Trierer Ostallee, als sich der Stadtrat nach einer Facebook-Fanpage und einer Online-Petition für eine Verlängerung des Vertrags mit dem Pächter aussprach – entgegen vorheriger Beschlüsse. Die beste Zusammenfassung zum Thema gibt es bei 16vor, anfangen könntet ihr mit diesem Streitgespräch zwischen Marcus Stölb und Thomas Brück.
Teilnehmer der von Michael Schmitz (@volksfreundchen) moderierten Diskussion waren:
- Prof. Dr. Winfried Thaa von der Trierer Politikwissenschaft
- Oberbürgermeister Klaus Jensen
- Malu Dreyer, Sozialministerin von Rheinland-Pfalz
- Daniel Reichert vom liquid feedback e.V.
- Prof. Dr. Bernd Hamm, Soziologe, Lokale Agenda 21
Soziale Netzwerke: Chance für die Mobilisierung, aber Chance bei liquid democracy verpasst
Winfried Thaa begann mit einer politikwissenschaftlichen Einschätzung des Phänomens – Facebook verändere die Formen politischer Beteiligung, zugleich jedoch betrachte er diese Entwicklung mit einer ambivalenten Einstellung. Soziale Medien böten zwar eine große Mobilisierungsmöglichkeit, eigneten sich jedoch nicht für die Findung einer quantitativen Mehrheit. Auch das Potenzial für Diskussionen auf Facebook sah der Wissenschaftler kritisch.
Daniel Reichert erläuterte die Zielsetzung seines Vereins: man beobachte, dass sich die Gesellschaft verändert, und versuche Antworten darauf zu finden, wie die Politik diesen Weg mitgehen könnte. Dabei sehe er einen zunehmenden Lernprozess der Politik, zugleich jedoch die offene Frage, wie mehr Menschen zur Beteiligung gebracht werden könnten.
Hier zeigte sich ein großes Versäumnis der Veranstalter: liquid feedback bietet mit Projekten wie der Adhocracy-Software innovative Plattformen zur Bürgerbeteiligung. Zudem kommt es in Trier nicht alle Tage vor, dass man einen Vertreter eines solchen Projekts hören kann. Umso unverständlicher finde ich, warum man die Chance nicht genutzt hat, um zu Beginn der Veranstaltung eine kurze Einführung auf einer Leinwand zu geben – ein Versäumnis, das sich in den vielen Nachfragen zum Thema zeigen sollte.
Bürgerbeteiligung in Trier: Mitmachen mal fünfzehn
Klaus Jensen berichtete von seinen positiven Erfahrungen mit dem Bürgerhaushalt, bei dem 2000 Menschen involviert seien. Insgesamt gebe es 15 Methoden der Bürgerbeteiligung in der Stadt, netzbasierte seien die jüngste Möglichkeit. Jensen begrüßte diese Entwicklung, mahnte jedoch auch, dass man die Bedeutung der Klicks gewichten müsse.
Ministerin Malu Dreyer interessiere sich sehr für die sozialen Medien und sei daher privat auf Facebook vertreten. In der Politik hingegen gebe es noch keine Spielregeln, gerade die sozial schwachen Schichten seien durch Beteiligungsformen schwer zu erreichen.
Bernd Hamm betrachte die neue Debatte um Beteiligungsformen im Netz als „Symptom des Unbehagens über die repräsentative Demokratie“. Er sehe vier Typen von Bürgerbeteiligung:
- Facebook: schnell, aber auch etwas belanglos
- Bürgerbeteiligung über die Verwaltungsreform: von oben inszeniert und daher zum Scheitern verurteilt
- Bürgerhaushalt in Trier: spannend, aber schwierig für die Beteiligung – die Stärke dieser Plattform sehe er eher in der Generierung neuer Ideen
- erneuerbare Energien: echte Bewegung von unten
Natürlich war auch die Lokale Agenda 21 ebenfalls Thema – hier habe Hamm vor allem gelernt, wie wichtig eine kleine Gruppe engagierter Mitglieder ist, die ein Projekt vorantreiben.
Fragen aus dem Publikum: Denkanstöße und Nachfragen
In der Fragerunde kamen verschiedene Aspekte zur Sprache – einige davon entfernten sich etwas vom ursprünglichen Thema. Zahlreiche Fragen rief der liquid democracy e.V. auf den Plan. So erläuterte Daniel Reichert, wie die Teilnehmerinnen selbst entscheiden können, wie tief sie in die einzelnen Themen einsteigen, und erklärte, dass die Software im Netz durch visuelle Icons verdeutlicht würde. Generell betonte Reichert, man solle auf Open-Source-Software setzen, statt wirtschaftlich agierenden Unternehmen wie Facebook zu vertrauen.
In den verschiedenen Facetten der Antworten zeigte sich, dass die Frage nach den Vor- und Nachteilen von Anonymität bei Diskussionen und politischen Beteiligungsprozessen nicht einfach zu beantworten ist. Winfried Thaa hob hervor, dass Anonymität die Hemmschwelle für unsachliche Beleidigungen deutlich herabsetze, während Malu Dreyer von ihren positiven Erfahrungen bei Diskussionen im Netz berichtete. Daniel Reichert erklärte das Dilemma von Beteiligung im Netz: Während es ohne Authentifizierung keine Erkenntnisse über die Repräsentativität geben könne, würde eine Authentifizierung eben Anonymität gefährden und somit eine Beteiligungshürde darstellen. Klaus Jensen erzählte, dass man beim Bürgerhaushalt über diese Fragen diskutiert habe – Ergebnis sei, dass Nutzer sich zwar bei den Plattformbetreibern registrieren, nach außen jedoch ihre Anonymität wahren können.
Bürgerbeteiligung: nicht in allen Bereichen
Deutlich wurde in der Diskussion auch, dass nicht alle Themen gleichermaßen für eine Bürgerbeteiligung geeignet sind. Gerade die Entscheidung über Haushalte fielen nach Klaus Jensen darunter – eine Beteiligung am Weg hin zu der Entscheidung sei jedoch möglich. Winfried Thaa hob hervor, dass es Grenzen der Politisierbarkeit gebe – vielen Bürgern fehle es an dem notwendigen Wissen, und zahlreiche Entscheidungen würden im Einvernehmen getroffen. Hingegen sei alles, worin man aus guten Gründen verschiedene Ansichten haben könne, als politisch zu betrachten.
Spannende Denkanstöße gab es zu der Frage nach der Politikverdrossenheit. Der Politikwissenschaftler Thaa berichtete von zwei grundsätzlichen Haltungen in der Politikwissenschaft: Während die eine Fraktion Politikverdrossenheit auf ein „zu viel“ von Politik zurückführe, vertrete er gemeinsam mit der zweiten Gruppe die These, dass die Menschen das Gefühl hätten, zu wenig Einfluss nehmen zu können.
Fazit: schöne Diskussion in altehrwürdigen Räumen
Insgesamt ist der Trierer SPD eine gute Veranstaltung gelungen, in der viele spannende Aspekte zur Sprache kamen. Schade war insbesondere, dass liquid democracy nicht dem Publikum gezeigt werden konnte – wenn man schon einmal jemanden aus dem Verein vor Ort hat, wäre das eine dankbare Gelegenheit gewesen. So blieb mir das Gefühl, dass die Überlegungen hinter dieser Plattform den Anwesenden zu abstrakt geblieben sind.
Ein schönes Schlusswort, das etwas aus dem Zusammenhang gerissen mir dennoch im Kopf geblieben ist, stammt von Daniel Reichert: „Das Internet ist großartig, weil es vernetzt. Deshalb nutzt Open-Source-Software!“
Bildnachweis: „Was ist Liquid Democracy“ von der BPB, CC BY, Teilnehmer bei der Podiumsdiskussion von Sabrina Schmitz